Im Rahmen meiner Abschlussarbeit des Bachelorstudiums der Elektro- und Informationstechnik an der HAW Hamburg habe ich die Anforderungen an Netzbildende Eigenschaften und der Bereitstellung von Momentanreserve in umrichterbasierten Erzeugungseinheiten untersucht.

In diesem Blogartikel möchte ich einen Überblick über die technischen Hintergründe, sowie zentrale Anforderungen des VDE FNN Hinweises „Technische Anforderungen an Netzbildende Eigenschaften inklusive der Bereitstellung von Momentanreserve (Version 1.0 / Juli 2024)“ und mögliche Anwendungen speziell für Typ-2 Erzeugungseinheitengeben geben.

Aaron Rühmann, B.Sc.

Netzbildende Eigenschaften: Umrichter mit Spannungsquellenverhalten

Netzbildende Umrichter zeichnen sich durch ein Spannungsquellenverhalten aus und können somit aktiv zur Stabilität des Stromnetzes beitragen. Anders als netzfolgende Umrichter, welche als Stromquellen agieren, die auf eine vorhandene Netzspannung angewiesen sind, können netzbildende Systeme eigenständig eine Netzspannung generieren und ein Teil- oder Inselnetz betreiben.

Regelungsmechanismen wie der ƒ(Ρ)– und  U(Q)-Statik kommen dabei zum Einsatz, um die Frequenz und Spannung dynamisch an die Anforderungen des Netzes anzupassen.

Eine Eigenschaft netzbildender Umrichter ist die Fähigkeit, auf Phasenwinkelsprünge oder Frequenzänderungen zu reagieren. Im Gegensatz zu herkömmlichen Schwungmassen, die mechanische Trägheit nutzen, emulieren diese Umrichter das Verhalten eines Synchrongenerators mithilfe virtueller Trägheit in den Regelungsalgorithmen.

Dieses Spannungsquellenverhalten macht netzbildende Umrichter zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Energiewende, da sie die Netzstabilität auch bei einer hohen Durchdringung von erneuerbaren Energien sicherstellen können. Besonders in Situationen mit plötzlichen Lastwechseln oder Erzeugungsausfällen tragen sie entscheidend dazu bei, die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten.

Abbildung 1 - Spannungsquellenverhalten

Momentanreserve: Sofortige Unterstützung bei Netzstörungen

Die Bereitstellung von Momentanreserve ist eine zentrale Systemdienstleistung innerhalb der Frequenzregelung im Stromnetz. Sie beschreibt die Fähigkeit bei Frequenzänderung unverzüglich positive oder negative Leistungsreserve bereitzustellen, um ein Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch auszugleichen.

Abbildung 2 – Zeitbereiche der Frequenzregelung

Bei konventionellen Kraftwerken wird diese Reserve durch die kinetische Energie der Schwungmassen der Turbinen bereitgestellt. Umrichterbasierte Systeme (Typ-2 Erzeugungseinheiten) hingegen nutzen innovative Regelungen, um diese Aufgabe zu erfüllen.

Regelungen können durch Technologien wie virtuelle Trägheit in Kombination mit einer netzbildenden Statikregelung effektiv umgesetzt werden. Ein Ansatz ist die Emulation der Schwungmasse mittels Regelalgorithmen, die auf Frequenzabweichungen reagieren und Energie aus Speichersystemen bereitstellen. Auf diese Weise lassen sich Frequenzverläufe bei einem Großstörereignis, z.B. Kraftwerksausfall, stabilisieren, ähnlich wie bei konventionellen Systemen mit Synchrongenerator und Schwungmasse.

Abbildung 3 - Momentanreserve

Technische Anforderungen an Netzbildende Eigenschaften inklusive der Bereitstellung von Momentanreserve

Bei den Anforderungen wird grundsätzlich zwischen Typ 1 (Synchrongeneratoren) und Typ 2 (alles andere, z.B. umrichterbasierte Erzeugungseinheiten) unterschieden. Bei den geforderten Anforderungen geht es neben den frequenzgebundenen auch um spannungsabhängige Systemdienstleistungen.

Der FNN-Hinweis umfasst im Wesentlichen die folgenden Anforderungen:

  • Kategorien netzbildender Einheiten

  • Spannungsquellverhalten

  • Höherfrequentes Dämpfungsverhalten

  • Verfahren zur Blindleistungsbereitstellung

  • Kontinuierliche Spannungsregelung

  • Dynamische Anforderungen Spannungsregelung

  • Verhalten bei Erreichen der Stromgrenzen

  • Robustheit gegen kurzzeitige Über- und Unterspannungsereignisse

  • Synchronität und Winkelstabilität

  • Auslegung des netzseitigen Umrichters

  • Verhalten bei Frequenzgradienten

  • Netzparallelbetriebsfähigkeit

  • Dämpfung von Frequenz-Leistungspendelungen

  • Festlegung zur Anlaufzeitkonstante

  • Anforderungen an Momentanreserveleistung- und Energie

  • Anforderungen an das Verhalten bei Über- und Unterfrequenz

  • Statik und Dämpfung netzsicherheitsbasierte Primärregelung

  • Anforderungen bei Frequenzabweichungen in dynamischen Kurzzeitbereich

  • Rückkehr in Normalbetrieb

  • Parametrierung des Totbandes

  • Messung der Frequenzänderungsrate

  • Priorisierung der Anforderungen

Die neuen Anforderungen des VDE FNN sind im Detail öffentlich einsehbar.

Anwendung der neuen netzbildenden Technologie

Die Anwendung der netzbildenden Umrichter führen zu einer Vielzahl von Systemdienstleistungen im elektrischen Energienetz:

  • Netzbildung

  • Virtuelle Momentanreserve

  • Schwarzstartfähigkeit

  • Inselnetzfähigkeit

  • Blindleistungskompensation

  • Kompensation von Spannungseinbrüchen

  • Statische Spannungshaltung

  • Netzfrequenzstabilisierung

In Kombination mit einem Batteriespeicher eignen sich netzbildende Umrichter zudem ideal für folgende Anwendungen:

  • Arbitrage Geschäfte im Stromhandel

  • Lastspitzenverschiebung

  • Lastspitzenkappung

  • Bereitstellung von Primärregelleistung & Sekundärregelleistung.

  • Unterbrechungsfreier Stromversorgung von kritischer Infrastruktur

Netzbildende Umrichter spielen eine zentrale Rolle für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Sie ermöglichen die Integration eines hohen Anteils erneuerbarer Energien und gewährleisten gleichzeitig die Stabilität und Versorgungssicherheit des Stromnetzes. Mit ihren vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten, wie der Bereitstellung von Momentanreserve, Netzfrequenzstabilisierung und Schwarzstartfähigkeit, tragen sie entscheidend zur Modernisierung und Widerstandsfähigkeit des Energiesystems der Zukunft bei.

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